
Schulbetrieb in Grundschulen ist eine Farce
Initiative „Kinder brauchen Kinder“ beklagt Chancenungleichheit in der Bildung – unsere Pressemeldung vom 5. Juni 2020
Von „Schulöfffnung“ und eingeschränktem Regelbetrieb in Schulen liest man in den letzten Wochen allerorten. Dass diese „Öffnung“ aber allenfalls homöopathisch ist, wird oft unterschlagen. Ein geringer Stundenumfang im Präsenzunterricht, der Wegfall zahlreicher Unterrichtsthemen bzw. ganzer Unterrichtsfächer – das ist die „neue Normalität“ in deutschen Grundschulen.
Die bundesweite Initiative „Kinder brauchen Kinder“, deren Petition zu Kita- und Schulöffnungen innerhalb von fünf Wochen über 80.000 Mal unterzeichnet wurde, fordert deshalb: Bildung muss schnellstmöglich allen Kindern in einem normalen Umfang und in einer positiven Lernumgebung zugänglich sein.
„Gerade in Grundschulen werden die Grundlagen für den weiteren Bildungsweg der Kinder gelegt. Gleichzeitig ist für diese Altersgruppe kein eigenständiges Lernen aus der Ferne möglich. Der Lernerfolg ist damit gekoppelt an ein hohes Engagement der Eltern. Kinder aus Elternhäuser, in denen das nicht geleistet werden kann, bleiben zurück“, so die Initiative.
Durch den Föderalismus im Bildungsbereich in Kombination mit der Verantwortungsweitergabe der konkreten Organisation an die Schulen gibt es einen Flickenteppich an Modellen. Fast allen gemein ist jedoch, dass Präsenzunterricht in nennenswertem Umfang nicht stattfindet.
Beispiele für den Umfang des Präsenzunterrichts in deutschen Grundschulen (die Beispiele beziehen sich auf einzelne Schulen in den genannten Orten):
- Erstklässler, Ingolstadt, Bayern: eine Woche kein Präsenzunterricht, zweite Woche täglich 2,5 Stunden
- Erstklässler, Hamburg: einmal wöchentlich 8-12.30 Uhr
- Erstklässler, Kreis Helmstedt, Niedersachsen: 3-5 Mal pro Woche 4 Stunden
- Zweitklässler in Karlsruhe, Baden-Württemberg: eine Woche kein Präsenzunterricht, zweite Woche täglich 8.30-10.30 Uhr
- Zweitklässler, Wetteraukreis Hessen: jeden Tag 2 Schulstunden
- Zweitklässler, Frankfurt, Hessen: 6 Schulstunden pro Woche
- Zweitklässler, Essen, NRW: Einmal wöchentlich (wechselnde Tage) 8.55-12.40 Uhr
- Zweitklässler, Münchberg, Bayern (erstmals nach Pfingsten): erste Woche Dienstag und Donnerstag 4 Schulstunden, zweite Woche Montag, Mittwoch und Freitag 4 Schulstunden
- Drittklässler, Wuppertal, NRW: jeden dritten Tag 6 Schulstunden
- Drittklässler, Kreis Osnabrück, Niedersachsen: jeden zweiten Tag 5 Schulstunden
- Drittklässler, Pulheim, NRW: jeden vierten Tag 3 Schulstunden
- Drittklässler, Neustadt, Hessen: eine Woche kein Präsenzunterricht, zweite Woche an drei Tagen 7.45-11.55 Uhr
- Drittklässler, Coburg, Bayern: täglich 8-10.30 Uhr
- Viertklässler, Lübeck, Schleswig Holstein: ab Montag (08.06.) Regelunterricht
- Viertklässler, Kreis Offenbach, Hessen: jeden zweiten Tag 5 Schulstunden
- Viertklässler, Kreis Gotha, Thüringen: eine Woche kein Präsenzunterricht, zweite Woche täglich 7.45 – 12.45 Uhr
„Da bei einem sechsjährigen Erstklässler weder das eigenständige Abarbeiten von Aufgaben zu Hause noch ein nennenswerter Digitalunterricht über Videokonferenztools oder Ähnliches ohne elterliche Beteiligung stattfinden kann, braucht es schnellstmöglich Präsenzunterricht, gerade für jüngere Schüler:innen“, fordert die Initiative. Die ergänzende Hortbetreuung müsse außerdem zeitnah wieder ermöglicht werden. Eine Vertiefung des Unterrichtsstoffs beispielsweise durch Nutzung von Lern-Apps zuhause sei begrüßenswert, könne aber eher im Umfang von Hausaufgaben erfolgen. Andere europäische Länder wie beispielsweise Norwegen und Dänemark haben im Sinne einer schrittweisen Öffnung zuerst die Grundschüler:innen zurück an die Schulen geholt und die höheren Schulklassen digital zuhause unterrichtet, solange es erforderlich war. Zudem gibt es inzwischen viele Hinweise darauf – wie bspw. jüngst eine Studie aus Baden-Württemberg -, dass kaum ein Risiko mit der Öffnung von Kitas und Grundschulen einhergeht und Kinder unter 10 Jahren sich seltener infizieren.
Lehrkräftemangel und Platzmangel, letzteres in erster Linie bei Konzepten mit geteilten Schulklassen bzw. Abstandsregeln innerhalb der Klassen, wird oft als Argument gegen eine stärkere Öffnung angebracht. Die Initiative „Kinder brauchen Kinder“ fragt deshalb: „Welche Anstrengungen haben die Kultusministerien bisher unternommen, um die zu Risikogruppen gehörenden Lehrkräfte zu ersetzen? Welche finanziellen Mittel wurden bereitgestellt? Welche außerschulischen Lernorte wurden gefunden? Wurden Qualitätsstandards für die Begleitung des Unterrichts zu Hause durch die Pädagog:innen wurden geschaffen?“
Pragmatische Ideen dazu gibt es viele: Parkschule im Freien, Lehramtsstudent:innen, die Lerngruppen betreuen als Alternative zum Heimunterricht, Schichtmodelle an Schulen. Entlastung der Pädagog:innen im Präsenzunterricht durch verstärkte Einbindung der Risikogruppen in Unterrichtsvorbereitung, Korrekturen, etc. Allerdings scheint zwischen der Diskussion um Seifenspender und Absperrbänder in den Kultusministerien kein Platz mehr für kreative Alternativen zu sein.